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Verhaltenstherapie

Mit Verhaltenstherapie wird ein ganzes Spektrum von Formen der Psychotherapie bezeichnet. Allen Formen ist gemeinsam, dass die "Hilfe zur Selbsthilfe" für den Patienten im Mittelpunkt steht, ihm nach Einsicht in Ursachen und Entstehungsgeschichte seiner Probleme Methoden an die Hand gegeben werden, mit denen er zukünftig besser zurecht kommt.

Grundprinzipien und Vorgehensweise

Eine Verhaltenstherapie beginnt gewöhnlich mit einer Verhaltensanalyse, in der die Probleme des Patienten / Klienten in Abhängigkeit von ihren aufrechterhaltenden Bedingungen und im Hinblick auf ihre Konsequenzen untersucht werden. Berühmt geworden ist die Verhaltensanalyse nach Frederick Kanfer: das SORCK-Modell.

  • S: Reize, Situationen
  • O: Organismus (z.B. körperliche Erkrankungen, Drogeneinfluß),
  • R: Reaktionen, Verhalten
  • C: Konsequenzen
  • K: Kontingenzen, d.h. regelhafte Zusammenhänge zwischen Situationen, Verhalten und Konsequenzen

Obwohl die Begriffe "Reiz" und "Reaktion" leicht vermuten lassen, daß in einer Verhaltensanalyse nur das beobachtbare Verhalten analysiert wird, bezieht eine Verhaltenanalyse in der modernen Verhaltenstherapie auch Gefühle, Gedanken und körperliche Prozesse mit ein. Zudem umfaßt die erweiterte Verhaltensanalyse auch Einflüsse des erweiterten Umfelds des Patienten / Klienten wie z.B. das Verhalten von Familienangehörigen, Arbeitskollegen und Freunden / Bekannten. In der Zielanalyse werden die Therapieziele gemeinsam mit dem Patienten / Klienten entwickelt, wobei darauf geachtet wird, ob die Ziele realistisch zu erreichen und nach der Therapie aufrechterhalten werden können. Die Therapie beruht schließlich auf einem Therapievertrag, in dem Patient / Klient und Therapeut sich gegenseitig zusichern, was sie während der Therapie für Aufgaben übernehmen.

In der Therapie können verschiedene verhaltenstherapeutische Verfahren eingesetzt werden (siehe unten). Übergeordnetes Prinzip ist dabei die Hilfe zur Selbsthilfe, d.h. der Patient / Klient soll in der Therapie lernen, wieder mit dem eigenen Lebens selbst zurechtzukommen. Auch die aus der Gesprächspsychotherapie bekannten therapeutischen Basisvariablen wie Echtheit, Empathie und uneingeschränktes Akzeptieren des Patienten / Klienten gehören mit in eine Verhaltenstherapie.

Verfahren der (kognitiven) Verhaltenstherapie (Auswahl)

Um die im Therapievertrag vereinbarten Therapieziele zu erreichen, können in der Verhaltenstherapie inzwischen mehr als 50 verhaltenstherapeutische Einzelverfahren eingesetzt werden. Einige von ihnen seien an dieser Stelle genannt:

  • Ärgermanagement nach Novaco,
  • Biofeedback nach Miller,
  • Dialektisch-behaviorale Therapie der Borderline Persönlichkeitsstörung nach Linehan,
  • EMDR nach Shapiro,
  • Entspannungstraining (v.a. Progressive Muskelentspannung),
  • Konfrontationstherapie (u.a. Systematische Desensibilisierung, Flooding),
  • Kognitive Therapie nach Aaron T. Beck,
  • Problemlösetraining nach D´Zurilla & Goldfried,
  • Rational Emotive Therapie nach Albert Ellis,
  • Schmerzmanagement nach Turk,
  • Selbstmanagement-Therapie nach Frederick Kanfer,
  • Streßmanagement nach Meichenbaum,
  • Trainings Sozialer Kompetenzen (Social Skills Training), z.B. das Assertiveness Training Programme nach Ullrich & Ullrich de Muynck; das Gruppentraining Sozialer Kompetenzen nach Hinsch & Pfingsten oder das Personal Effectiveness Training nach Libermann
  • Verhaltensmodifikation (z.B. über die Token-Ökonomie).

Anwendungsbereiche und Wirksamkeit

Verhaltenstherapeutische Methoden werden heutzutage gegen viele psychische Störungen und psychosomatische Erkrankungen eingesetzt. Nach dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie der deutschen Bundesregierung ist Verhaltenstherapie wirksam gegen

  • Abhängigkeiten von psychotropen Substanzen (z.B. Alkoholabhängigkeit)
  • Schizophrenie und wahnhafte Störungen.
  • Affektive Störungen (z.B. Depression),
  • Angststörungen (z.B. Agoraphobie, Phobie, Soziale Phobie, Panikstörung, Zwangsstörung),
  • Belastungsstörungen (z.B. Posttraumatische Belastungsstörung),
  • Dissoziative, Konversions- und somatoforme Störungen,
  • Essstörungen (z.B. Anorexia nervosa, Bulimia nervosa),
  • Persönlichkeitsstörungen (z.B. Borderline Persönlichkeitsstörung),
  • psychosomatische Erkrankungen (z.B. Spannungskopfschmerz, Bluthochdruck).

Den großen Meta-Analysen - das sind übergreifende Analysen von Einzeluntersuchungen - von Smith, Glass und Miller (1980) sowie von Grawe und Kollegen (1994) zufolge sind verhaltenstherapeutische Maßnahmen i.a. die wirksamsten psychotherapeutischen Verfahren vor psychodynamischen und gesprächspsychotherapeutischen Verfahren.

Verhaltensmedizin

Aus der Verhaltenstherapie ist die Verhaltensmedizin hervorgegangen. Sie befasst sich mit der Anwendung verhaltenstherapeutischer Erkenntnisse auf allgemeine medizinische Sachverhalte; zum Beispiel mit der ergänzenden Behandlung von körperlichen Erkrankungen wie z.B. Bluthochdruck, Asthma, Diabetes oder Spannungskopfschmerz mit psychologischen Mitteln. Dies geschieht etwa dadurch, dass der Patient lernt, angemessener mit seiner Erkrankung umzugehen. Die Verhaltensmedizin beschäftigt sich mit Gesundheitsverhalten.

Geschichte der Verhaltenstherapie

Die Verhaltenstherapie hat ihren Ursprung in den Lerntheorien. Erste Schritte, die als verhaltenstherapeutisch bezeichnet werden können, nahm bereits Mary Cover Jones 1924 vor, als sie einen ängstlichen Jungen namens "Peter" von einer Phobie durch Konfrontation mit dem angstauslösenden Objekt therapierte. Aber erst nach dem 2. Weltkrieg gelang es, lerntheoretisch fundierte Verfahren systematisch zur Behandlung psychischer Störungen, insbesondere Phobien, einzusetzen. Dazu trug die Enttäuschung vieler psychoanalytisch arbeitender Therapeuten über die mangelnde Wirksamkeit der tiefenpsychologischen Therapien bei: So entwickelte z.B. der Südafrikaner Joseph Wolpe die Systematische Desensibilisierung, ein graduiertes Konfrontationsverfahren, in Kombination mit der Progressiven Muskelentspannung von Edmund Jacobson. Auf der anderen Seite wurde die operante Konditionierung von behavioristisch orientierten Therapeuten wie z.B. Ayllon und Azrin für die therapeutische Verhaltensmodifikation nutzbar gemacht. Mit ihr konnte erstmals mit nennenswertem Erfolg Menschen mit schwersten psychischen Störungen wie der Schizophrenie psychotherapeutisch geholfen werden.

Seit den 70er Jahren hat diese klassische Verhaltenstherapie zunehmend andere Gebiete der wissenschaftlichen Psychologie und Psychotherapie aufgegriffen und integriert. Der Begriff kognitive Verhaltenstherapie oder kognitive Therapie trägt der Tatsache Rechnung, dass die Verhaltenstherapie sich außer mit der äußeren Verhaltensänderung auch mit der Veränderung der kognitiven, gedanklichen Schemata des Menschen beschäftigt. Begründer und Vorreiter der kognitiven Verhaltenstherapie waren unter anderem Albert Ellis, Aaron T. Beck und Donald Meichenbaum.

Die Verhaltenstherapie oder kognitive Verhaltenstherapie ist für viele ihrer Vertreter (zum Beispiel Klaus Grawe) auf dem Weg zu einer allgemeinen wissenschaftlichen Psychotherapie, d.h. einer Psychotherapie, die wissenschaftlich überprüfte Methoden anwendet und integriert, unabhängig davon, aus welcher Schulrichtung diese Methoden kommen. Dementsprechend legen Verhaltenstherapeuten großen Wert auf die empirische Überprüfung ihrer Theorien und Methoden und sehen darin ein Zeichen von Professionalität.

Ausbildung zum Verhaltenstherapeuten

Verhaltenstherapeut (verhaltenstherapeutischer Psychotherapeut) wird man durch eine 3- bis 5-jährige Weiterbildung und die Erlangung einer staatlichen Approbation. Voraussetzung für die Approbation ist, dass man einen Hochschulabschluss/Fachhochschulabschluss in Psychologie, Medizin, Pädagogik oder Sozialarbeit/Sozialpädagogik besitzt. Mit dem Abschluss als Pädagoge oder Sozialpädagoge kann jedoch lediglich die Zulassung als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut erlangt werden. Professionelle Verhaltenstherapeuten lassen sich während der gesamten Berufstätigkeit supervidieren und bilden sich weiter.

Weblinks


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