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Habituation

Habituation (von lat. habituari: "etwas an sich haben" bzw. habitus: "Aussehen, Haltung"; Adjektiv habituell: "zur Gewohnheit geworden") bezeichnet eine einfache (und beim Menschen in der Regel nicht-bewusste) Form des Lernens. Habituation setzt ein, wenn ein Individuum wiederholt einem sich für ihn als unbedeutend erweisenden Reiz ausgesetzt ist. Die Reaktion auf diesen Reiz schwächt sich dann allmählich ab und unterbleibt schließlich womöglich völlig. Hält man nach Eintritt der Habituation den Reiz genügend lange fern, nimmt die Reaktionsbereitschaft des Individuums in der Regel wieder zu.

Synonyme: Gewöhnung; erlernte Verhaltensunterdrückung

Von der Habituation zu unterscheiden ist die Gewohnheit als Ergebnis eines Lernprozesses, an dessen Ende ein spezifisches, automatisiertes Verhaltensmusters steht.

Hervorzuheben ist, dass die Abschwächung der Reaktion auf einen häufig wiederholten Reiz weder auf eine körperliche Ermüdung des Individuums zurückzuführen ist noch auf eine Anpassung von Sinnesorganen (Adaptation) an den Reiz, wie sie sich zum Beispiel im Auge beim Übergang von Dunkelheit zu - anfangs blendender - Helligkeit vollzieht.

Den Begriff "Habituation" definierte William Thorpe (1944), die erste systematische Beschreibung des Phänomens stammt von George Humphrey (1930).

Habituation bei Tieren

Die Habituation kann zum Erlöschen angeborener Antwortreaktionen führen, zum Beispiel zum Abgewöhnen von Zu- oder Abwendungsverhalten, nicht aber zum Aufbau neuer Reaktionen; sie ist bei allen Organismen nachweisbar. Der Piepslaut einer Maus zum Beispiel führt bei jungen Katzen umgehend zu erhöhter Aufmerksamkeit, Hinwendung zum Ort des Geräuschs und erweckt beim Beobachter den Eindruck, sie würden durch dieses Geräusch in "Beutefangstimmung" versetzt. Wiederholt man aber diesen Reiz in gleicher Weise und unter denselben Bedingungen mehrfach, etwa durch Abspielen eines Tonbandes, so verschwindet allmählich die Reaktion der Katzen. Bei Änderung eines Reizparameters freilich, z.B. der Lautstärke oder des Zeitintervalls, tritt die artspezifische Reaktion wieder auf. Auch Orientierungsreaktionen können durch Habituation experimentell zum Verschwinden gebracht werden.

Habituation bewirkt, daß nichtbekräftigte unbedingte Reize schließlich unwirksam werden. Das ist ein biologisch sinnvoller Mechanismus, der sich in der Phylogenese herausbildete und es ermöglicht, angeborene Verhaltensweisen den Besonderheiten der Umgebung anzupassen, indem der Organismus lernt, auf bestimmte Reize unter denselben Umweltbedingungen nicht mehr zu reagieren. Dauernd vorhandene Reizmuster werden so aus der Wahrnehmung ausgeblendet, dem Individuum bleiben unnütze Reaktionen erspart.

Es gibt freilich nicht abgewöhnbare artspezifische unbedingte Reaktionen, die außerordentlich hohe biologische Valenz haben: Der Warnlaut der Paviane löst auch bei hundertfacher Wiederholung Fluchtreaktionen aus, deren Intensität nicht abnimmt (bei Woronin 1953).

Habituation beim Menschen

Habituation hat große Bedeutung für die Anpassung instinktiver Reaktionsmuster an die wechselnden Lebensbedingungen bei Tieren, aber auch beim Menschen ist diese Lernform nachweisbar. So konnte A. Peiper (1924) Habituation bei ungeborenen Kindern nachweisen. Diese reagierten im Mutterleib auf starke akustische Reize (zum Beispiel auf das Martinshorn eines in der Nähe vorbeifahrenden Polizeiautos) durch heftiges Strampeln. Wurden solche Reize jedoch mehrfach wiederholt, blieb im Experiment die Reaktion des Fetus aus.

Ein weiteres Beispiel für Habituation beim Menschen ist die Gewöhnung an Kleidung, wie sie jedem FKK-Liebhaber bekannt ist: Wer im Urlaub mehrere Wochen lang weder Hose noch Hemd getragen hat, wird bei seiner Rückkehr in die Textilkultur durch das beständige Drücken des Stoffs gegen Haut und Körperhaare anfangs erheblich irritiert sein, sich aber nach kurzer Zeit wieder an diesen Dauerreiz gewöhnt haben. Auch eine neue Brille kann zunächst zu derartigen Irritationen an Ohren und Nase führen, die später durch Habituation wieder verloren gehen.

Dass es sich beim Phänomen der Habituation um keine bloße "Erschöpfung" der an der Wahrnehmung des Reizes beteiligten Sinneszellen handelt kann man leicht an folgendem Beispiel nachvollziehen: Der Mensch gewöhnt sich nach kurzer Zeit zum Beispiel an das nächtliche, gleichmäßige Summen der Fahrzeuge auf einer entfernten Autobahn, bis er dieses Hintergrundgeräusch schließlich nicht mehr als störend wahrnimmt. Sobald das Geräusch aber aussetzt, weil man an einem absolut ruhigen Ort übernachtet, bemerkt man, dass etwas "nicht stimmt".

Habituation als Problem von Verhaltenstests

So nützlich der Mechanismus der Habituation für Tier und Mensch ist, so unangenehm berührt sind von ihm häufig die Verhaltensforscher. In ihren Experimenten sind sie ja häufig gerade darauf angewiesen, ihre Testtiere wiederholt bestimmten Reizmustern auszusetzen, um glaubwürdige Aussagen über die Wirkung eines bestimmten Reizes auf deren Verhalten formulieren zu können. Bei der Planung der Experimente muss daher stets darauf geachtet werden, dass durch genügend lange Zeitabstände zwischen den Wiederholungen der Experimente eine das Ergebnis der Tests verfälschende Habituation der Testtiere mit hinreichend großer Sicherheit ausgeschlossen werden kann.

  • siehe auch: Handlungsbereitschaft