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Evolutionäre Psychologie

Die Evolutionäre Psychologie (EP) ist eine wissenschaftliche Disziplin innerhalb der Biologie und versteht sich als Grundlage für viele Bereiche innerhalb der Psychologie. Sie versucht, menschliche Handlungsweisen aus der Perspektive der evolutionären Entwicklung zu verstehen. Im Speziellen behauptet sie, das menschliche Gehirn enthielte eine Menge von Mechanismen (psychologischen Adaptionen), die sich durch natürliche Selektion herausgebildet haben und die Reproduktion des Organismus begünstigten. Diese Mechanismen sind in der ganzen Art verbreitet, mit der Ausnahme, dass manche nur auf ein bestimmtes Geschlecht oder eine bestimmte Altersgruppe zutreffen. Beispiele von solchen psychologischen Adaptionen sind männliche und weibliche Partnerwahlpräferenzen und -strategien, Inzest-Vermeidungsmechanismen und Betrüger-Entdeckungsstrategien.

Die Hauptquellen der evolutionären Psychologie sind die kognitive Psychologie, die Anthropologie, die Genetik sowie die Verhaltensbiologie (speziell die Ethologie und die Soziobiologie).

Der Begriff evolutionäre Psychologie wurde wahrscheinlich von Ghiselin geprägt, populär wurde er 1992 durch das Buch The Adapted Mind: Evolutionary Psychology and The Generation of Culture von Leda Cosmides und John Tooby.

Die EP hat in vielen Wissensbereichen Anwendung gefunden, darunter Wirtschaft, Aggression, Rechtswissenschaft, Psychiatrie, Politik, Literatur und Fortpflanzung.

Theoretischer Hintergrund

Die Idee, dass Organismen Maschinen seien, die in bestimmten Umgebungen gut funktionieren, wurde von William Paley, der selbst auf Arbeiten vieler anderer zurückgriff, eloquent verteidigt. Sie ist der Grundgedanke der modernen Medizin und Biologie. Vor Charles Darwin und Alfred Russel Wallace wurde angenommen, dass der planmäßige Aufbau der Lebewesen ein Beweis für die Existenz Gottes sei. Darwins Theorie der Evolution durch Selektion bot eine wissenschaftliche Erklärung für den Ursprung der Körperfunktionen.

Die EP geht von der Annahme aus, dass Kognition und Verhalten genau wie Herz, Leber, Lunge, das Immunsystem usw. funktionale Struktur auf einer genetischen Basis aufweisen und sich deshalb durch natürliche Selektion entwickelt haben. Genau wie die anderen Organe wird diese funktionale Struktur zwischen allen Individuen geteilt und hilft, wichtige Probleme des Überlebens und der Reproduktion zu lösen.

Evolutionäre Psychologen versuchen die Wahrnehmungsprozesse und Verhaltensweisen zu verstehen, indem sie überlegen, welche Überlebensvorteile diese bieten.

Überleben

Überblick

Das Ziel jeden menschlichen Handelns ist letzten Endes die erfolgreiche Reproduktion. Ein Lebewesen, das sich fortpflanzen will, muss, zumindest eine zeitlang, überleben. Um das Überleben zu sichern, müssen wichtige Fähigkeiten vorhanden sein, z.B. das Beschaffen von Nahrung, finden von Schlaf- und Wohnplätzen und Schutz vor Fressfeinden.

Nahrungsbeschaffung

Bei der Nahrungsbeschaffung muss erstens dafür Sorge getragen werden, dass ständig ausreichend Energie zur Verfügung steht, zweitens muss sichergestellt sein, dass mit den Mahlzeiten nicht gleichzeitig schädliche Giftstoffe aufgenommen werden. Insbesondere Pflanzen schützen sich nicht selten durch Giftstoffe vor dem Gefressenwerden. Bei Ratten hat man interessante Beobachtungen gemacht: Ratten können von Natur aus Wasser-, Salz- und Kalorienmangel feststellen und ihre Nahrung entsprechend auswählen. Unbekannte Nahrungsmittel werden nur separat und in kleinen Mengen verzehrt. Auf diese Weise können die Ratten feststellen, welches Nahrungsmittel sie ggf. krank gemacht hat. Beim Menschen dienen Ekel und Übelkeit als natürliche Schutzreaktion vor schädlichen Lebensmitteln. Außerdem besteht die Vermutung, dass Menschen ihre Nahrungsmittel deswegen gerne mit Gewürzen wie Zwiebeln, Knoblauch, Oregano o.a. zubereiten, weil diese antimikrobiell wirken. Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen den verschiedenen Klimazonen der Erde und der Verwendung von Gewürzen. In warmen Regionen, wo Nahrungsmittel sehr schnell verderben, wird am meisten gewürzt, in kalten Regionen, wo sich Mikroben ohnehin kaum vermehren können, wird sehr wenig gewürzt. Bei diesem Verhaltensmuster ist es allerdings nicht klar, ob es sich um eine evolutionär entwickelte Adaption handelt, oder ob die Verwendung von Gewürzen zufällig entdeckt und als erworbenes Wissen weitergegeben wurde.

Wohnen

Unsere steinzeitlichen Vorfahren wählten ihre Wohnplätze nach gewissen überlebensrelevanten Kriterien aus von denen Schutz vor Feinden und Witterung und ein reichhaltiges Nahrungsangebot am wichtigsten sind. Aus diesem Hintergrund ist er erklärlich, dass Schlaf- und Kinderzimmer auffallend oft nicht im Erdgeschoss, sondern im geschützteren Obergeschoss liegen. Unsere nächsten Verwandten im Tierreich halten sich bevorzugt auf leicht erkletterbaren Bäumen mit schützender, aber nicht sichtversperrender Krone auf. Auch heute wählen wir unsere Wohnungen am liebsten in abwechslungsreicher Landschaft mit weitem Ausblick. Wir umgeben uns gerne mit bunten Blumen, den urzeitlichen Indikatoren für fruchtbaren Boden und ein gutes Nahrungsangebot. Phobien">

Ängste und Phobien

Angst ist eine überlebenswichtige Körperreaktion, die uns vor Gefahren und Bedrohungen schützen soll. Aus Sicht der Evolution ist es leicht erklärlich, dass Menschen eine angeborene Angst vor Schlangen, Spinnen und anderen (giftigen?) Tieren haben. Lisztäffchen schrecken beispielsweise vor einem auf dem Boden liegenden Plastikrohr zurück, selbst wenn sie im Labor aufgewachsen sind und noch nie einer Schlange begegnet sind. Andererseits haben Tiere und Menschen keine Angst vor evolutionsgeschichtlich neuen Gefahren, z.B. fahrenden Autos, elektrischen Geräten oder Radioaktivität. Manche Menschen haben Angst vor großen Plätzen (Agoraphobie), weil diese keine Versteckmöglichkeiten vor möglichen Feinden bieten. Andere evolutionsbedingte Phobien sind Höhenangst und Klaustrophobie.

Angst kann überwunden werden, wenn die Aussicht auf Nutzen und damit die Motivation steigt. Beispielsweise wagen sich Tiere aus ihrer geschützen Umgebung hervor, um nach Nahrung zu suchen, wenn der Hunger groß genug wird. Angst überwunden zu haben, kann Menschen in Hochgefühl versetzen, weshalb solche Situationen oft gezielt herbeigeführt werden. Beispiele hierfür sind Bungee-Jumping, Fallschirmspringen, Autorennen, Kampfsport und andere.

Partnerwahl und Fortpflanzung

Überblick

Einer der Hauptvorteile der sexuellen Fortpflanzung ist es, dass ein Individuum die Möglichkeit hat, sich mit verschiedenen Partnern zu paaren und auf diese Weise Nachkommen mit höherer genetischer Vielfalt zu erzeugen, die dann eine höhere Zahl von ökologischen Nischen besetzen können. Dadurch wird das Risiko, dass ein Individuum sich nicht (dauerhaft) reproduzieren kann, geringer. Bei der asexuellen Fortpflanzung unterscheiden sich die Nachkommen nur geringfügig (durch zufällige Mutationen), das Risiko, dass alle Nachkommen durch ungünstige Lebensbedingungen oder Parasiten aussterben, ist dementsprechend höher.

Es liegt nun nahe, dass Menschen sich evolutionsbedingt Sexualpartner aussuchen, die eine möglichst hohe Überlebenswahrscheinlichkeit der eigenen Nachkommen bieten können.

Höhe der elterlichen Investition

Die höhe der Investition in Nachkommen unterscheidet sich deutlich zwischen Mann und Frau. Während ein Mann praktisch unbegrenzt Nachkommen zeugen kann, investiert die Frau mit der Schwangerschaft ungleich mehr. Deshalb ist es aus spieltheoretischer Sicht für den Mann sinnvoll, auf Quantität zu achten, während für die Frau die Qualität die größere Rolle spielt. Vieles deutet auch darauf hin, dass bei unseren Vorfahren monogame Beziehungen wenig verbreitet waren. Auch bei den Schimpansen wird beobachtet, dass sexueller Zugang zu den Weibchen vom Rang des Männchen abhängt.

Partnerpräferenzen der Frau

Um dem Nachwuchs bestmögliche Chancen zu geben, wählen Frauen Partner nach verschiedenen Kriterien aus:
  • Kann der Partner investieren?
  • Möchte er investieren?
  • Ist er in der Lage, Frau und Kinder zu beschützen?
  • Wird er ein guter Vater sein?
  • Ist er gesund?

Die Möglichkeit zu investieren, bedeutete in der Steinzeit ein guter Jäger, mit ausreichen Zugang zu Nahrungsmitteln und hohem gesellschaftlichem Status und guten Freunden zu sein. Heute kann man sich Nahrung, Wohnung, Ausbildung und die meisten anderen Dinge, die unser Überleben sichern, mit Geld kaufen, daher ist Geld eine der wichtigsten Ressourcen. Ein Problem für die Frau ist es, zu beurteilen, welcher mögliche Partner wieviel investieren kann, und wer Reichtum eventuell nur vortäuscht. Eine weitere Frage ist, ob der Partner überhaupt gewillt ist, sein Vermögen mit der Partnerin zu teilen und in den Nachwuchs zu investieren. Körpergröße, Mut und athletische Fähigkeiten werden als positiv betrachtet, da ein Partner mit diesen Eigenschaften eher die Fähigkeit hat, Frau und Kinder vor Feinden zu beschützen bzw. diese bereits vor dem Angriff einzuschüchtern. Die Frage, ob ein Mann ein guter Vater sein wird, können Frauen anhand von Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Freundlichkeit, positivem Umgang mit Kindern und emotionaler Stabilität beurteilen. Eine große Rolle spielt auch die Gesundheit des Partners, anhand derer seine Lebensdauer und Leistungsfähigkeit (und damit auch die der Kinder) abgeschätzt werden kann. Das menschliche Schönheitsideal hat sich zwar über die Jahrhunderte und Jahrtausende verändert, einige grundlegende Eigenschaften bleiben jedoch immer gleich (Studie über "Schönheit").

Partnerpräferenzen des Mannes

Die Präferenzen der Männer sind denen der Frauen ähnlich. Unsere Vorfahren bewerteten den reproduktiven Wert der Frauen nach dem physischen Erscheinungsbild, d.h. Körperbau, glatte Haut, glänzende Augen und nach dem Verhalten, z.B. körperliche Aktivität und Gestik. Die Tatsache, dass sich ein Schönheitsmaßstab schon sehr früh im Leben eines Mannes entwickelt und zudem kulturübergreifend ist, deutet darauf hin, dass es sich um eine evolutionäre Anpassung handelt.

Soziale Gemeinschaften

Überblick

Wir wissen bereits, dass sich alle Lebewesen in einem fortwährenden "Kampf ums Überleben" befinden, in dem es gilt, sich durchzusetzen, um Nahrung und Frauen zu kämpfen und sich möglich erfolgreich zu reproduzieren. Aber unter höher entwickelten Lebewesen ist nicht nur feindliches und konkurrierendes Verhalten verbreitet, es gibt auch Kooperationen. Kleine Gruppen von Individuen schließen sich zusammen und tun Dinge, die auf den ersten Blick nachteilig für sie sind. Der Grund dafür ist, dass jedes Mitglied der Gruppe Vorteile dafür erhält, wenn es sich in den Dienst der Gruppe stellt und auch mal kleine Opfer bringt.

Kooperation

Ein interessantes Beispiel für soziale Gemeinschaften wurde bei den Vampirfledermäusen beobachtet. Vampirfledermäuse ernähren sich vom Blut von Wirtstieren, z.B. Rindern, von dem sie etwa die gleiche Menge ihres eigenen Körpergewichtes aufnehmen. Sie können ohne Nahrung etwa zwei Tage lang überleben. Leider ist der Jagderfolg dieser Tiere so gering, dass sie ohne gegenseitige Hilfe nicht lange überleben würden. Deshalb würgen sie "zu Hause" einen Teil ihres aufgenommenen Blutes wieder hoch und geben es an Verwandte und andere Fledermäuse weiter. Vor allem Jungtiere, die noch ungeübte Jäger sind, kommen auf diese Weise in den Genuss einer lebensrettenden Mahlzeit. Im Gegenzug darf die blutspendende Vampirfledermaus auch erwarten, von seinen "Freunden" bedient zu werden, wenn sie einmal keinen Jagderfolg hatte. Es wurde beobachtet, dass die Tiere genau unterscheiden, wem sie Blut geben und wem nicht. Es bilden sich also kleine Gruppen ("Freundschaften"?) von Tieren, die sich gegenseitig vertrauen und in der Not aushelfen. So bietet eine altruistische Verhaltensweise einen Überlebensvorteil.

Primaten haben dieses Konzept des reziproken Altruismus bereits weiter entwickelt. Schimpansen haben beispielsweise eine ausgeprägte Ranghierarchie, in der ständig um höheren gesellschaftlichen Status und sexuellen Zugang zu Weibchen gekämpft wird. Mitglieder einer Kolonie bilden gelegentlich kooperative Allianzen, in denen verschiedene Dienstleistungen oder Dinge ausgetauscht werden. Streiten sich zwei Schimpansen, so ist es möglich, dass der eine Hilfe von einem Freund bekommt, welcher seinerseits als "Dank" eine Gegenleistung bekommt.

Nach Cosmides und Tooby sind fünf verschiedene kognitive Fähigkeiten notwendig, damit höhere kooperative Allianzen entstehen können:

  1. Die Fähigkeit, verschiedene Artgenossen zu erkennen und zu unterscheiden
  2. Die Fähigkeit, sich an vergangene Interaktionen zu erinnern, damit man weiß, wem man was schuldig ist bzw. wer ein Betrüger und wer ein verlässlicher Freund ist
  3. Die Fähigkeit, den anderen mitzuteilen, was man braucht
  4. Die Fähigkeit, zu verstehen, was die anderen brauchen
  5. Die Fähigkeit, einen Maßstab für Kosten und Nutzen zu entwickeln, um die gegenseitigen Gefallen gegeneinander aufrechnen zu können

Aggression und Krieg

Aggression kann dazu dienen, die Kontrolle über fremde Ressourcen wie Nahrungsmittel oder Weibchen zu erlangen oder sich in der Sozialhierarchie einen höheren Platz zu erkämpfen. Aggression kann auch der Verteidigung der eigenen Ressourcen dienen.

Streitpunkte

In Studien über tierische Verhaltensweisen wurde die Rolle der Evolution längst erkannt. Die Anwendung der Evolutionstheorie auf die menschliche Psychologie ist jedoch umstritten. Kritik kommt von vielen Seiten.

Weil so wenig darüber bekannt ist, in welchem evolutionären Kontext sich die Menschen entwickelten (Populationsgrößen, Sozialstruktur, Lebensweise, Ernährungsgewohnheiten, Lebensraum usw.), arbeitet die EP auf einer recht schwachen Grundlage. Ein Großteil der Forschung in der EP ist deshalb auf gesicherte Fakten aus der Vergangenheit begrenzt, etwa dass Frauen schwanger werden und Männer nicht, und dass Menschen in Gruppen lebten.

Kritiker behaupten auch, dass einige der Behauptungen der EP nicht falsifizierbar und die EP deshalb zu den Pseudowissenschaften zähle.

Manche Studien wurden dafür kritisiert, dass sie Eigenschaften der menschlichen Kognition der Genetik zuschreiben, obwohl sie eigentlich in die Soziologie gehören. Aber auch diese Sichtweise ist einseitig, denn weder die Biologie noch die Soziologie können für sich genommen den Menschen erklären.

Manche Leute machen sich Sorgen darüber, dass die EP aggressives und berechnendes Verhalten rechtfertigen könne und versuchten, Studien auf diesem Gebiet zu unterdrücken. Sie bringen als Beispiel den Ehemann, der seine Frau eher betrügen würde, wenn er glaubt, sein Geist hätte sich durch die Evolution in diese Richtung entwickelt.

Letztlich wird die evolutionäre Psychologie jedoch als bedeutendes Feld der Psychologie anerkannt.

Eine ganz andere "Evolutionäre Psychologie"

Die Evolutionäre Psychologie im oben beschriebenen und von ihren Vertretern wohl auch stets so verstandenen Sinn fasst die Psychologie kaum mehr denn als Teil der Biologie auf. Zwar soll sie nur die Grundlagen von Wahrnehmung, Kognition und Verhalten (die der Psyche zugerechnet werden) betreffen, aber eben ihre biologischen Grundlagen. Es ist ihr erklärtes Ziel, den Überlebensvorteil gewisser von uns als seelisch aufgefasster Vorgänge zu verdeutlichen, so dass die Psyche in den Rahmen der biologischen Evolutionstheorie hineinpasst. Über das "Ding" jedoch, das über jene biologische Grundlage verfügt, wird so gut wie nichts gesagt. Mit anderen Wortern: Die Evolutionäre Psychologie ist gar keine Psychologie; sie ist nur Biologie. Aber das muss ja nicht so bleiben.

So gibt es seit 1992 eine "Evolutionäre Psychologie" auch als Psychologie (zunächst nur die visuelle Wahrnehmung betreffend). In ihr wird von den biologischen Grundlagen des Sehens kaum etwas gesagt - wenig also von den Photorezeptoren der Retina und ihren neuronalen Verbindungen zu den verschiedenen Gehirnarealen, in denen die visuelle Wahrnehmung vonstatten geht. Viel dagegen wird nicht nur vom visuellen Wahrnehmungs-Erleben gesprochen, sondern auch von der 10-stufigen Grundhierarchie der 25 dieses Erleben bedingenden Wahrnehmungs-Funktionen. Diese Funktionen sind keine biologischen, keine Körper-Funktionen, sondern sie sind auf diesen Körperfunktionen aufbauende psychische Funktionen. Die an der Wahrnehmung beteiligten Körperfunktionen sind vermutlich mit ihrer Körpermaterie (wie Auge, Rezeptoren, Neurone) durch Anpassung an die Umweltbedingungen im Rahmen der (biologischen) Evolution als ein System spezifischer Gene entstanden. Die psychischen Wahrnehmungsfunktionen sind dagegen ganz anderer Art; sie sind durch Anpassung an die Umweltbedingungen im Rahmen der (psychischen) Evolution als ein System spezifischer Gedächtnisinhalte entstanden, und zwar in den ersten Lebenswochen des Menschen. Die Entstehung dieser Gedächtnisinhalte und ihre hierarchische Anordnung wird detailliert aus einem alten - aber in Vergessenheit geratenen - Gedächnisgesetz abgeleitet. Sie wirken bei ihrer Aktualisierung durch nachfolgende Reize als spezifische "Gestaltfaktoren", die ihre spezifischen "Gestaltqualitäten" ins stets ganzheitliche Perzept eingeben und so in der Lage sind, ein noch so komplexes Wahrnehmungserleben aufzubauen. Die Aktualisierung der Faktoren durch Reize erfolgt im übrigen nach dem gleichen Muster, das in der klassischen Ethologie von Konrad Lorenz für das Instinktverhalten beschrieben worden ist. Hier wird also ein in der biologischen Evolutionsstufe entstandenes Muster von der nächst-höheren, der psychischen, Evolutionsstufe "übernommen". Diese Übernahme entspricht den Beziehungen zwischen den unmittelbar aufeinander folgenden Schichten im vierschichtigen Aufbau der Realität bei Nicolai Hartmann (1964) wie auch dem evolutionären Quadrialistischen Modell der Wirklichkeit von Lothar Kleine-Horst (2004), durch das der ontologische Monismus und Dualismus aufgehoben werden. Diese "neue" Evolutionäre Psychologie versteht sich nicht als Beschreibung der ins Psychische hineinragenden biologischen Evolution, sondern als Beschreibung der Evolution der Psyche selbst. Sie scheint in der Tat zu einem neuen wissenschaftlichen Weltbild zu führen.

Weblinks

Literatur

  • Buss, David M.: Evolutionäre Psychologie (2004) (ISBN 3827370949)
  • Barkow, Jerome; Cosmides, Leda; Tooby, John (1992) The Adapted Mind: Evolutionary Psychology and The Generation of Culture ISBN 0-19-510107-3.
  • Ghiselin, Michael T. (1973). Darwin and Evolutionary Psychology. Science 179: 964-968.
  • Lothar Kleine-Horst: Evolutionär-psychologische Theorie des Sehens. Auftakt zu einem neuen wissenschaftlichen Weltbild. 1992, ISBN 3-938955-40-3