Kognitive Dissonanz
Der Begriff Kognitive Dissonanz (innerer Widerspruch) (kognitive = erkenntnisbezogene; Dissonanz = Nichtübereinstimmung, Unvereinbarkeit) stammt aus der Psychologie. Es beschreibt die Unvereinbarkeit von Erfahrungen und Informationen zu der persönlichen Einstellung bzw. zu zuvor getroffenen Entscheidungen des menschlichen Individuums. Die Dissonanz meint auch die aus dem Widerspruch von Entscheidung und Wahrnehmung folgende innere Spannung.
Grundlage der von Leon Festinger 1957 begründeten Theorie ist die Annahme, dass Menschen dazu neigen, einmal getroffene Entscheidungen zunächst beizubehalten. Deshalb werde alle neue Information, die zu der getroffenen Entscheidung in Widerspruch steht, tendenziell abgewertet, während alle konsonanten Informationen tendenziell überschätzt werden. Erst wenn die durch die Dissonanz erzeugte innere Spannung zu groß werde, also die individuelle Toleranzschwelle überschreite, ändere das Individuum die getroffene Entscheidung ab, um so Erfahrung und Entscheidung wieder zur Konsonanz zu bringen. Je toleranter und veränderungsbereiter ein Mensch ist, desto geringer seien die durch neue Informationen erzeugten Spannungen.
Beispiele
- Einstellung: "Ich rauche gern!"
- Erfahrung/Information: "Rauchen verursacht Krebs."
Erläuterung zum ersten Beispiel: Wenn Raucher z.B. in Zeitschriften auf Artikel stoßen, die über die schlimmen Folgen ihres Zigarettenkonsumes berichten, schenken sie diesen Artikeln deutlich weniger Aufmerksamkeit als die Nichtraucher. Der Raucher wird durch die Information unangenehm berührt und blendet sie daher vorzugsweise aus. Dies kann auch als Begründung gesehen werden, dass Raucher (auch nach eigenen Angaben) die todesanzeigenartigen Warnaufdrucke auf den Zigarettenschachteln kaum wahrzunehmen scheinen.
- Einstellung: "A ist dringend verdächtig, deshalb eröffne ich das Hauptverfahren"
- Information: "überraschender Alibizeuge in der Hauptverhandlung"
Erläuterung zum zweiten Beispiel: Nach deutschem Strafprozessrecht muss der Richter nach Anklageerhebung zunächst prüfen, ob eine Verurteilung wahrscheinlich ist (so genanntes Vorverfahren). Nur dann darf er die Anklage zur Hauptverhandlung zulassen und das Hauptverfahren eröffnen. Hat er aber eröffnet, so hält er notwendig die Aussage "Der Angeklagte ist der Täter" für wahrscheinlich und wird deshalb alle Information, die dazu in Widerspruch steht (beispielsweise den überraschenden Alibizeugen), tendenziell in ihrer Bedeutung unterschätzen.
Kognitive Dissonanz im Marketing
Das Konzept der Kognitiven Dissonanz spielt auch beim Marketing für Konsumgüter eine Rolle.
Da Kognitive Dissonanzen von Menschen als unangenehm empfunden werden, versucht man positive Aspekte eines Produktes zu verstärken und negative abzuschwächen. Dem kommt entgegen, dass Konsumenten gewillt sind, zur Rechtfertigung ihrer Entscheidungen Informationen selektiv wahrzunehmen (siehe Selektive Wahrnehmung). Als Ursachen kognitiver Dissonanzen (im Marketing) können genannt werden:
- Nachträgliches Bedauern der Kaufentscheidung;
- neue Informationen über das gewählte Produkt (z. B. Veröffentlichungen der Stiftung Warentest);
- Neue Informationen über Konkurrenzprodukte;
- Ausbleiben des Social Support.
- Neue Informationen über bessere Informationsquellen.
Kognitive Dissonanzen treten um so eher auf, je
- wichtiger die Entscheidung,
- ähnlicher die Alternativen,
- vorhersehbarer die Entscheidungskonsequenzen,
- dringlicher der Entschluss,
- niedriger der Informationsgrad des Entscheidungsträgers.
In dieser Situation versucht der Konsument eine Dissonanzreduktion durch die Umbewertung der Alternativen, die Selektion geeigneter Informationen sowie Einstellungs- und Verhaltensänderungen herbeizuführen.
Literatur
- Jürgen Beckmann: Kognitive Dissonanz: eine handlungstheoretische Perspektive. Springer-Verlag Berlin 1984. ISBN 3-540-13772-6
- Leon Festinger: Theorie der Kognitiven Dissonanz. Huber-Verlag Bern 1978. ISBN 3-456-80444-X
- Bernd Schünemann: Experimentelle Untersuchungen zur Reform der Hauptverhandlung in Strafsachen, in: Kerner/Kury/Sessar (Hrsg.), Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, Köln 1983, Teilband 2, S. 1109 - 1151.
- ders.: Kognition, Einstellung und Vorurteil bei der Rechtsfindung, in: E.-J. Lampe (Hrsg.), Beiträge zur Rechtsanthropologie (Beiheft 22 zur ARSP), 1985, S. 68 - 84.
Siehe auch
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