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Zytostatika

Zytostatika (oder Cytostatika, vom griechischen Cyto = Zelle und statik = anhalten) sind natürliche oder synthetische Substanzen, die das Zellwachstum bzw. die Zellteilung hemmen. Sie werden vor allem zur Behandlung von Krebs (Chemotherapie), teilweise auch bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen eingesetzt. Neben den klassischen Zytostatika werden heute in der Behandlung von Tumorerkrankungen auch weitere Substanzen wie z.B. Hormone, therapeutische monoklonale Antikörper, Zytokine und sogenannte "small molecules" wie z.B. Signaltransduktionshemmer, Proteasominhibitoren etc. eingesetzt.

Geschichte

Während des Ersten Weltkriegs stellten Ärzte fest, dass das Kampfgas Schwefel-Lost (Senfgas) antiproliferative (wachstumshemmende) Wirkung hat. Nach dem Krieg wurde der weniger giftige Stickstoff-Lost (= Mechlorethamin) entwickelt und um 1942 als erstes Zytostatikum in der Medizin eingesetzt. Bis heute ist Stickstoff-Lost in den USA zugelassen; seine Derivate sind in zahlreichen modernen Behandlungsschemata enthalten. Die zytostatische Wirkung der Platinkomplexe wurde 1965 zufällig bei einem Versuch mit Zellkulturen und einer Platinelektrode entdeckt. Andere Substanzen wie Mitotan und die Vinca-Alkaloide wurden in der Pharmaindustrie in ganz anderen Bereichen entwickelt, fielen jedoch beim Tierversuch durch ihr wachstumshemmendes Potential auf.

Antikörper

Seit Anfang der 90er Jahre werden zunehmend monoklonale Antikörper gegen Oberflächenantigene von Tumorzellen entwickelt. Der Antikörper gegen CD-20 Rituximab ist mittlerweile eine Standardwaffe gegen maligne Lymphome (Lymphdrüsenkrebs). Weitere therapeutische Antikörper sind Trastuzumab, das bei bestimmten Formen von Brustkrebs eingesetzt wird sowie Cetuximab und Bevacizumab, welche bei Darmkrebs wirksam sind. Es ist damit zu rechnen, das in den nächsten Jahrzehnten die Immuntherapie eine Revolution in der Behandlung von Krebserkrankungen ermöglichen wird.

Antikörper, und andere Immuntherapeutika wie Interferon sind im engeren Sinne keine Zytostatika.

Wirkmechanismus

Zytostatika greifen unspezifisch in den Stoffwechsel von allen schnell wachsenden Zellen wie Epithelzellen (wie z. B. Haarwurzelzellen, Schleimhautepithel von Mund, Magen-Darm-Trakt) ein, indem sie die Vervielfältigung oder das Auslesen der Erbsubstanz (DNA) stören. Da sich Tumorzellen vor gesunden Zellen durch ihre hohe Zellteilungsrate auszeichnen sind diese etwas empfindlicher gegenüber Zytostatika; Tumorzellen haben auch eingeschränkte Reparaturkapazität. Dieser Unterschied ermöglicht erst die Therapie mit diesen - sehr toxischen - Substanzen.

Nebenwirkungen

Da die Giftwirkung auch gesunde Zellen beeinträchtigt, kommt es zu vielerlei negativen Begleiterscheinungen. Insbesondere die Schleimhaut des Magen-Darmtraktes und das blutbildende Knochenmark ist empfindlich. Fast alle Zytostatika verursachen deshalb vorübergehenden Haarausfall, Übelkeit und Erbrechen (wenn auch nicht immer in gleichem Ausmaß) und eine Verminderung der weißen und/oder roten Blutkörperchen im Blut (Knochenmarksdepression). Darüberhinaus haben die einzelnen Wirkstoffgruppen noch weitere, unterschiedliche Nebenwirkungen. Einige Zytostatika sind selbst karzinogen (krebserregend) und mutagen (keimbahnschädigend).

Obwohl heutzutage komplexe Begleitbehandlungen zu den Zytostatika eingesetzt werden, muss noch immer ein Teil der Therapien dosisreduziert, unterbrochen oder gar abgebrochen werden.

Die WHO-Einteilung der Nebenwirkungen in Schweregrade richtet sich nach den Maßnahmen, die im Einzelfall getroffen wurden:

  • Grad 0: keine Nebenwirkungen
  • Grad 1: geringe Nebenwirkungen
  • Grad 2: Allgemeinbefinden verschlechtert, Chemotherapeutika müssen vermindert werden
  • Grad 3: Unterbrechung der Chemotherapie notwendig
  • Grad 4: stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich
  • Grad 5: Tod durch Chemotherapie

Prinzipien der Chemotherapie

Wegen der sicheren Bioverfügbarkeit wird in der Regel eine intravenöse Verabreichung gewählt. Langzeittherapien (z.B. Temozolamid bei Hirntumoren) sind aber auch oral, in Tablettenform möglich.

Eine bestimmte Zytostatikadosis kann immer nur eine bestimmten Anteil, z.B. 90 % der Zielzellen abtöten. Mit fortschreitender Behandlung bleibt dieser Anteil gleich, d.h. zwei Dosen erreichen 99 % der Zellen, drei Dosen 99.9 % usw. Dieser Mechanismus erklärt, warum eine Chemotherapie im Laufe der Behandlung nicht vermindert werden darf, auch wenn der sichtbare Tumor bereits verschwunden ist (log cell kill, Skipper 1964). Im Gegenteil muß damit gerechnet werden, dass durch eine schwache Behandlung gerade die widerstandsfähigsten Tumorzellklone selektiert werden, d.h. übrig bleiben. Moderne Protokolle versuchen daher, "so früh und so hart wie möglich zuzuschlagen" (Goldie, Coldman 1979). Die Chemotherapie wird in schneller Abfolge appliziert, und fast immer werden zwei oder mehr Zytostatika kombiniert, um die Wirksamkeit zu erhöhen.

Adjuvant nennt man eine Chemotherapie, die zur Erfolgssicherung nach einer vollständigen operativen Beseitigung des Tumors dienen soll. Neoadjuvant ist eine Chemotherapie vor der Operation. Sehr häufig wird die adjuvante, neoadjuvante oder alleinige Chemotherapie mit Strahlentherapie kombiniert (Radiochemotherapie).

Bei der Behandlung von alten Menschen muss berücksichtigt werden, dass diese oft eine verminderte Leber- und Nierenfunktion und eine verminderte Knochenmarksreserve haben und ihre Empfindlichkeit gegenüber den Substanzen daher erhöht ist. Wenn die Dosis nach dem Körpergewicht oder der Körperoberfläche abgeschätzt wird, ist der erhöhte Anteil an Körperfett im Senium einzurechnen.

Resistenzen der Tumorzellen gegen einzelne oder mehrere der eingesetzten Mittel sind nicht selten. Sie beruhen auf vermindertem Transport in das Zellinnere, inaktivierenden Enzymen oder auf einer zu geringen Blutversorgung des Tumors. Das muss frühzeitig erkannt werden, um Änderungen des Therapieregimes rechtzeitig wirksam werden zu lassen.

Wann ist eine Behandlung mit Zytostatika sinnvoll?

  • Eine örtliche Behandlung reicht bei soliden Tumoren (d.h. fest, im Gegensatz z.B. zu Leukämien) nicht mehr aus, wenn bereits Metastasen nachweisbar sind.
  • Leukämien und maligne Lymphome breiten sich oft von Anfang an über mehrere Körpergebiete aus. Dann ist in jedem Fall eine systemische Zytostatikagabe notwendig.
  • Eine adjuvante (= ergänzende, helfende) Zytostatikagabe wird vor oder nach der chirurgischen Entfernung eines Tumors auch ohne Nachweis von Metastasen gegeben, wenn das Rückfallrisiko erfahrungsgemäß hoch ist.

Wann ist eine Behandlung mit Zytostatika nicht sinnvoll?

  • Der Tumor kann durch eine Operation oder Bestrahlung komplett und mit großer Wahrscheinlichkeit kurativ entfernt werden
  • Die Abwägung ergibt, dass die zu erwartenden Nebenwirkungen der Behandlung schwerer sind als der zu erwartende Verlauf des Tumorleidens ohne Chemotherapie
  • Der Allgemeinzustand oder die Funktion wesentlicher Organe ist zu weit eingeschränkt

Beispiele für Tumorarten, bei denen eine Chemotherapie zu einer dauerhaften Heilung führen kann:

  • Morbus Hodgkin
  • Maligne Lymphome
  • Akute Leukämien
  • Hodentumore
  • Chorionkarzinom der Frau
  • Darmkrebs
  • Brustkrebs ohne Fernmetastasen
  • Tumoren bei Kindern, auch solche mit Metastasen

Spezielle Zytostatikagruppen

Alkylantien

Alkylantien sind die ältesten Zytostatika. Sie können Alkylgruppen auf die DNA übertragen. Da die Alkylantien mit zwei oder mehr funktionellen Gruppen versehen sind, können sie zwei DNA-Stränge vernetzen und dadurch verhindern, dass diese während der Zellteilung korrekt verdoppelt werden. Die Wirkung beruht also auf einer Hemmung der DNA-Replikation. Alkylantien sind mutagen und karzinogen. Ihre Hauptnebenwirkungen sind Übelkeit, Anämie und Immunschwächung. Sie werden bei Lymphomen, Leukämie, Brust- und Lungenkrebs sowie bei Sarkomen noch oft eingesetzt. Besondere Bedeutung haben sie gegen bösartige Hirntumore.

  • Stickstoff-Lost-Derivate
    Cyclophosphamid
    Ifosfamid
    Trofosfamid
    Melphalan
    Chlorambucil
  • Akylsulfonate
    Busulfan
    Treosulfan
  • Nitrosoharnstoffe
    Carmustin, Lomustin, Nimustin, Estramustin
  • Procarbazin und Dacarbazin
  • Temozolomid
  • Thiotepa

Platinanaloga

Der Komplex cis-Pt(II)(NH3)2Cl2 = Cisplatin und seine Verwandten gehören zu den wirksamsten Chemotherapeutika überhaupt. Sie verursachen ebenfalls Quervernetzungen der DNA durch kovalente Bindung des Platinatoms an zwei Nukleinbasen. Platine verursachen Übelkeit, Anämie, Nerven- und Nierenschäden. Ihr Haupteinsatzgebiet sind Hoden- Gebärmutter- und Eierstockkrebs sowie Tumoren der Halsregion. Das neueste Platin-Analogon, Oxaliplatin, wird zurzeit bei Darmkrebs eingesetzt.

Interkalantien

Interkalantien binden nichtkovalent an die DNA und verhindern die Anbindung der Polymerasen, welche zur Replikation und Transskription der Erbsubstanz dienen. D.h. Zellteilung und Zellfunktion werden gestört. Die Substanzen werden wegen der geringen Rate an resistenten Tumoren sehr oft und bei fast allen soliden Tumoren eingesetzt; sie eignen sich auch als Mono-Therapie bei Patienten, die starkwirksame Kombinationen nicht vertragen. Übelkeit und Anämie, sowie verschiedene Organschäden sind ihre häufigsten Nebenwirkungen.

Antibiotika

Die Vertreter dieser Substanzgruppe mit antibakterieller und gleichzeitig zytostatischer Wirkung wurden aus Pilzen isoliert. Die Wirkmechanismen sind unterschiedlich, meist DNA-Vernetzung durch Interkalation oder Alkylierung. Es sind vorwiegend Peptide, daher können bei der Anwendung allergische Reaktionen auftreten. Weitere Nebenwirkungen sind Lungen- oder Leberschäden. In Protokollen gegen Hodenkrebs, Blasenkrebs und maligne Lymphome sind oft Antibiotika vertreten.

  • Bleomycin
  • Actinomycin D (Dactinomycin)
  • Mitomycin

Mitosehemmer

Diese Stoffe binden an das Tubulin, ein Eiweißmakromolekül, welches zur Zellteilung notwendig ist. Der Einsatz ist bei Lymphomen und Leukämien, seltener bei soliden Tumoren üblich. Ihre unangenehmste Nebenwirkung ist eine Schädigung des Nervensystems.

  • Alkaloide der Vinca rosea:
    Vincristin (Oncovin)
    Vinblastin
    Vindesin

Taxane

Eine relativ neue Substanzgruppe, obwohl sie bereits in den 1960er Jahren am National Cancer Institute in den USA durch ein systematisches Screening von 35 000 Pflanzengattungen entdeckt wurde, und zwar in der Pazifischen Eibe (Taxus). Erst seit sie synthetisch hergestellt werden können (1994), finden Taxane zunehmende Verbreitung bei Brust- und Lungenkrebs und beim Hautkrebs, oft als Monotherapie. Die Wirkung beruht auf der Bildung von anomalen Molekülen im Zellskelett, was die geordnete Zellteilung verhindert.

Topoisomerasehemmer

Die Topoisomerasen I und II sind Enzyme, welche gezielte, reversible Unterbrechungen im DNA-Strang herstellen. Die Hemmung bewirkt irreguläre, nicht behebbare DNA-Brüche und spontane Vernetzungen. Diese neue Substanzklasse ist vielversprechend bei soliden Tumoren, Lymphomen, Hirntumoren und kindlichen Tumoren. Ihre Neigung zur Knochenmarksdepression (Anämie) ist allerdings gefürchtet.

  • Topoisomerase-I-Inhibitoren
    Camptothecin
    Topotecan
    Irinotecan
  • Topoisomerase-II-Inhibitoren
    Etoposid
    Teniposid

Antimetabolite

Antimetabolite werden als falsche Bausteine in die DNA oder RNA eingebaut oder verhindern den Einbau der korrekten Bausteine, und stören so die Zellteilung und den Stoffwechel. Ihre Nebenwirkungen sind Übelkeit und Anämie, sowie Nierenschäden. Darm- und Brustkrebs und viele andere solide Tumoren, sowie Leukämie sind die Einsatzgebiete für Antimetaboliten. Man vermutet, dass die Empfindlichkeit der Zellen gegenüber Strahlung gesteigert wird. 5-Fluorouracil ist aus diesem Grund die wichtigste Substanz in der Radiochemotherapie (s.o.).

  • Folsäureantagonist
    Methotrexat
  • Pyrimidinanaloga
    5-Fluorouracil
    Capecitabin
    Cytosinarabinosid (Cytarabin)
    Gemcitabin
  • Purinanaloga
    6-Thioguanin
    Pentostatin
    Azathioprin
    6-Mercaptopurin
    Fludarabin
    Pentostatin
    Cladribin

andere Zytostatika

  • L-Asparaginase, ein im Serum von Meerschweinchen entdecktes Enzym, welches die Aminosäure L-Asparagin abbaut. Manche Leukämiezellen können diese Aminosäure nicht herstellen. Die Toxizität gegenüber normalen Zellen ist sehr gering
  • Hydroxycarbamid (Hydroxyharnstoff, Hydroxyurea) hemmt das Enzym Ribonukleotid-Reduktase und dadurch die DNA-Synthese. Das typische Anwendungsgebiet sind myeloische Leukämien, die Hauptnebenwirkung eine Knochenmarksdepression
  • Mitotan, ein Verwandter des Insektizids DDT mit spezifischer Wirksamkeit gegen den Stoffwechsel von Zellen - auch Tumorzellen - in der Nebenniere

Literatur

Zeller WJ, zur Hausen H (Hrsg.): Onkologie. Ecomed, Landsberg 1995, Loseblattausgabe

Weblinks