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Kneippanwendungen

Sebastian Kneipp (* 17. Mai 1821 in Stephansried; ? 17. Juni 1897 in Wörishofen) war ein bayerischer Priester und Hydrotherapeut. Er ist der Namensgeber der Wasserkur bzw. des Wassertretens und Begründer der Kneipp-Medizin.

Kneipp begründete einen ganzheitlichen Ansatz der Naturmedizin, der auf fünf Säulen ruht:

  • Die Hydrotherapie nutzt in vielfältiger Weise die Heilkraft des Wassers. Die bekanntesten Anwendungen sind Kneippgüsse und Wassertreten.
  • Die Ernährungstherapie stellt vielseitige Vollwertkost in den Vordergrund.
  • Die Bewegungstherapie aktiviert den Körper und die Organe. Dabei soll auf einengende Kleidung verzichtet werden. Als intensive Form der Bewegung und sanfte Abhärtungsmethode hat Kneipp das Barfußlaufen empfohlen.
  • Die Phytotherapie nutzt die Möglichkeiten der Heilpflanzen.
  • Mit der Ordnungstherapie hat Kneipp schließlich den Weg zu einer bewussten, die Gesundheit erhaltende Lebensführung beschrieben.

Als Standardwerk von Sebastian Kneipp gilt sein Buch "Meine Wasserkur", dessen erste Auflage 1886 erschien.

1889 eröffneten die Franziskanerinnen von Reute in Biberach an der Riß im Jordanbad die erste ärztlich geleitete Kneipp'sche Wasserheilanstalt Deutschlands. Nach diesem Vorbild bildeten sich viele weitere Kneippkurorte.

Leben und Wirken

Eine umstrittene Persönlichkeit

„Wohltäter der Menschheit” oder „größter Kurpfuscher und Betrüger”, so wurde Sebastian Kneipp von seinen Zeitgenossen genannt - je nachdem, ob sie zu seinen Anhängern oder seinen Kritikern gehörten. Er war eine umstrittene, polarisierende Persönlichkeit, an der sich die Geister schieden. Seiner Zeit war er voraus, war geradezu ein Revolutionär. Denn das, was er tat, ließ sich mit den Sittenvorstellungen des 19. Jahrhunderts zum Teil nicht vereinbaren. Das Leben von Sebastian Kneipp war hart, er musste ständig gegen Widerstände, Anfeindungen und Verleumdungen kämpfen. Allen Widerständen zum Trotz fand seine Lehre immer mehr Anhänger. Seine Bücher wurden Bestseller, und die Kranken pilgerten zu Tausenden in das kleine Örtchen Wörishofen. Als alter Mann dann wurde er fast wie ein Heiliger verehrt.

Das „Schlüsselerlebnis”

Sebastian Kneipp wurde am 17. Mai 1821 im schwäbischen Stephansried geboren. Sein Vater war Weber, er hatte zwei Halbschwestern und zwei leibliche Schwestern. Die Kindheit war vor allem geprägt durch bittere Armut. Trockenes Brot, alte Kartoffeln und Mehlsuppe ? man war schon froh, wenn man wenigstens das hatte. Schon als kleiner Bub musste er mitarbeiten. Entweder beim Vater im dunklen, feuchten Keller von früh bis spät am Webstuhl stehen oder als Hirte des kleinen Dorfes Stephansried den ganzen Tag das Vieh hüten. Zu dieser Zeit hatte er sein erstes „Schlüsselerlebnis”, wie man es heute nennen würde. Denn eine der zu hütenden Kühe war auf unwegsamem Gelände ausgerutscht und humpelte. Zu allem Überfluss auch noch die Kuh des Bürgermeisters. Der kleine „Baschtl” schwieg aus Furcht vor Bestrafung, machte aber die Beobachtung, wie diese Kuh sich in den Bach stellte und das verletzte Bein vom kalten Wasser umspülen ließ. Am nächsten Tag war er es, der die Kuh ins Wasser führte und ihr Bein begoss. Ihm fiel auf, dass das Tier ihn mit dankbaren Augen ansah. Schon am dritten Tag war die Kuh wieder putzmunter, humpelte nicht mehr, und zu „Baschtels” Erleichterung hatte keiner etwas bemerkt.

„Flausen im Kopf”

Von 1827 bis 1833 besuchte Sebastian Kneipp die Dorfschule in Stephansried und von 1833 bis 1839 die Sonn- und Feiertagsschule in Ottobeuren. Schon früh wusste der Junge, dass er mehr wollte: Er wollte „schtudiere”! Zu seiner Zeit war das allerdings unvorstellbar für einen Dorfjungen aus ärmsten Verhältnissen. Sein erster Kampf begann. Natürlich fand er kein Gehör und schon mal gar kein Verständnis für seinen Wunsch, weder bei seiner Familie noch beim Dorflehrer. Der Bub hatte ja nur „Flausen im Kopf”. Aber Kneipp ließ sich dadurch nicht entmutigen. Da ihm keiner helfen wollte, musste er sich das Geld fürs Studium eben selbst verdienen! Er arbeitete hart, legte jeden verdienten Pfennig beiseite ? zwei Jahre lang. Eine (für seine ärmlichen Verhältnisse) stattliche Summe hatte er so zusammengetragen, und er sah sich schon fast am Ziel. Doch dann brach ein Feuer aus, das sein Elternhaus bis auf die Grundmauern niederbrannte ? und mit dem Haus verbrannten die Ersparnisse. Ein harter Rückschlag für den jungen Mann.

Ein Traum wird wahr

Genau zu dieser Zeit war es auch, dass Kneipp erstmals jemanden traf, der ihn wegen seines Wunsches zu studieren nicht für verrückt erklärte. Nachdem seine Ersparnisse verbrannt waren, war er so verzweifelt gewesen, dass er einfach von zuhause fortging. Er fand eine Anstellung als Knecht beim Bauern Stahl in Grönenbach. Der Pfarrer Dr. Merkle aus Grönenbach war es, der dem jungen Mann Mut machte, ihn förderte und unterstützte. Er unterrichtete Kneipp in Latein und bereitete ihn für die Aufnahme ins Gymnasium vor. Als er 1844 in das Gymnasium zu Dillingen aufgenommen wurde, war er bereits acht Jahre älter als seine Mitschüler. 1848 begann er sein Studium der Theologie und war zu diesem Zeitpunkt schon 27 Jahre alt, aber er hatte den ersten großen Sieg seines Lebens errungen: Sebastian Kneipp hatte seinen Traum, zu studieren, wahr gemacht.

Selbstversuche

Doch war sein Leben hart und von Widerständen geprägt. So ließ das nächste Hindernis nicht lange auf sich warten. Kneipp erkrankte an der Schwindsucht und wurde von seinem behandelnden Arzt praktisch aufgegeben. Man könne nichts mehr für ihn tun, meinte dieser. Kneipp dachte schon daran, Dr. Merkle um den letzten Beistand zu bitten, als ihm zufällig das Buch „Unterricht von der Heilkraft des frischen Wassers” von Dr. Johann Siegmund Hahn in der Bearbeitung von Professor Oertel in die Hände fiel. Kneipp hatte den großen Wunsch, Priester zu werden, und dieser Wunsch gab ihm die Kraft, gegen die Krankheit zu kämpfen.

Er begann mit der Selbstbehandlung in Form von drei kalten Waschungen täglich und trank zwei bis drei Liter frisches Wasser pro Tag. Er tat das, obwohl er selbst nicht mehr an eine Heilung glaubte. Eines Tages, im November des Jahres 1849, war seine Verzweiflung so groß, dass er sich mitten in die eiskalte Donau setzte. Natürlich heimlich, natürlich nachts ? denn öffentlich hätte man so etwas zu seiner Zeit nicht tun können. Weil er beim ersten Mal sein Handtuch vergessen hatte, schlüpfte er anschließend durchnässt in seine Kleider, was er sich künftig zur Gewohnheit machen wird. Schon nach dem dritten nächtlichen Bad in der Donau trat Besserung ein. Seine vollständige Genesung mag ihm und seinen Zeitgenossen wie ein Wunder vorgekommen sein.

Heimlich in der Nacht

Im darauffolgenden Jahr 1850 erhielt er einen Freiplatz am Georgianum in München und setzte dort sein Studium fort. Tägliche Wasseranwendungen waren inzwischen zum festen Bestandteil seines Lebens geworden. Aber wie sollte er sie ausführen? In München fand er keine Möglichkeit, heimlich und unbemerkt in die Isar zu steigen. Freibäder gab es noch nicht, ein öffentliches Baden war zu jener Zeit absolut unvorstellbar. Da sah er zufällig den Gärtner, der mit dem Gießen der Blumen beschäftigt war, und das brachte ihn auf eine Idee. Abends vor dem Schlafengehen stellte er sich die gefüllte Gießkanne im Innenhof bereit. Und dann, mitten in der Nacht, wenn alles schlief, kletterte Kneipp zum Fenster hinaus und machte seine Anwendungen. Auch sonst beschäftigte er sich weiter mit dem Thema, las Bücher, besuchte den „Verein der Wasserfreunde” und hörte dort erstmals etwas über Umschläge und Wickel, von diätetischer Lebensweise bei bestimmten Erkrankungen und von Prießnitz und Gräfenberg, die schon seit 30 Jahren mit Wasser kurierten.

Es kam das Jahr 1852. Vor seiner Weihe zum Priester stand eine medizinische Untersuchung an. Der untersuchende Arzt Dr. Horner bescheinigte: „Er ist kerngesund!” Doch sein Mitstudent Langmeyer bekam kein ärztliches Attest und wurde somit nicht zur Priesterweihe zugelassen. Kneipp hatte Mitleid mit ihm, wollte ihm helfen und behandelte ihn heimlich nachts im Garten mit seiner Gießkanne. Und wieder geschah das Wunder: Langmeyer wurde völlig gesund und konnte Priester werden.

Der „Kurpfuscher”

Doch inzwischen war das Geheimnis der nächtlichen Aktionen durchgesickert, man begann, über diesen seltsamen Kneipp zu tuscheln. Das führte aber auch dazu, dass auch andere Studenten sich nun hilfesuchend an ihn wandten. Er wollte sie nicht behandeln, aber seine Freunde drängten ihn, weiterzumachen. Und so kam es schon im Februar 1853 - Kneipp war inzwischen zum Priester geweiht und als Kaplan in einem Ort namens Boos angestellt ? zur ersten Denunziation. Er wurde wegen „Kurpfuscherei” angezeigt. Zwar erhielt er eine Strafe über zwei Gulden wegen „Vergehens gegen das Kurierverbot”, gleichzeitig stellte er aber auch dem Richter am Landgericht Babenhausen, der das Urteil über ihn verhängte, eine Kuranweisung gegen die Gicht aus ? und hatte fortan einen neuen Anhänger. Das „Corpus Delicti” der Verhandlung, die Kuranweisung für Columba Haas aus Boos, ist bis heute das älteste noch erhaltene Dokument dieser Art. Nach der spektakulären Heilung der Magdalene Albrecht aus Boos ging erstmals das Gerücht vom „wundertätigen” Kaplan um.

Die nächste Klage

Die Menschen suchten seine Hilfe, Kneipp konnte gar nicht anders, als sie zu behandeln. Er brachte es nicht übers Herz, sie einfach wieder weg zu schicken. Das brachte ihm im Jahr 1854 die nächste Klage ein. Wegen „Gewerbebeeinträchtigung und Schädigung” klagte der Apotheker Semmelbauer aus Babenhausen, Dr. Mannheimer aus Fellheim schloss sich der Klage an. Kneipp erklärte dem Gericht, er habe stets nur Menschen behandelt, die nach jahrelanger Behandlung bei Ärzten und Apothekern keine Hilfe gefunden hätten, die abgewiesen bzw. aufgegeben worden sind oder die einfach kein Geld hätten, sich einen Arzt zu leisten. Er musste daraufhin eine Erklärung unterschreiben, „fürder auch solchen Unglücklichen nicht mehr zu helfen, die angeblich keine ärztliche Hilfe mehr fanden”.

Der „Cholera-Kaplan”

Vielleicht hatte Kneipp sogar tatsächlich die Absicht, sich an diese Erklärung zu halten, doch die Cholera machte ihm einen Strich durch die Rechnung. 1854 brach sie in München aus, von dort aus in ganz Oberbayern und Schwaben. Xaver Kneipp ? Sebastians Vater ? war eines der ersten Todesopfer der Cholera in Stephansried. Als die Krankheit auch in Boos ausbrach, war Pfarrer Kneipp die Verzichts-Erklärung egal ? schließlich ging es hier um Menschenleben. Kneipp handelte und heilte in Boos zweiundvierzig erkrankte Personen. Das blieb nicht ohne Aufsehen: Der Generalvikar beim Bischöflichen Ordinariat wurde aufmerksam und zog Erkundigungen über ihn ein. In der Bevölkerung nannte man ihn den „Cholera-Kaplan”. So war Kneipp ganz froh, als er Ende 1854 nach Augsburg versetzt wurde und dort in der Anonymität der Großstadt untertauchen konnte. Der Rummel um seine Person war ihm nicht geheuer.

Versetzt nach Wörishofen

Er blieb nicht lange in Augsburg. Bereits im Mai 1855 wurde er Beichtvater eines Dominikanerinnenklosters in einem damals bedeutungslosen, winzigkleinen Dorf namens Wörishofen. Er wurde dorthin versetzt in der Hoffnung, dass er in dieser Einsamkeit kein Aufsehen mehr erregen würde. Die Bewohner des Dörfchens hätten sich wohl nie träumen lassen, was die Ankunft dieses Mannes für ihren Ort, für sie selbst, für ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Nachfahren noch bedeuten würde. Kneipp machte sich sogleich ans Werk und brachte frischen Wind in das beschauliche Nest - genaugenommen brachte er einfach alles durcheinander. Die Nonnen mussten auf dem Feld arbeiten, die Waisenkinder lernten das Weben, und am hellichten Tag liefen drei geistliche Herren (Kneipp, sein Vetter Funk und der gichtkranke Pfarrer von Kirchdorf) barfuß durch die feuchten Wiesen. Letzteres war zu damaliger Zeit eine Ungeheuerlichkeit ? das ganz Dorf war außer sich!

Doch sein Ruf als „Cholerakaplan” und „wundertätiger Heiler” hatte sich längst verselbständigt. So standen die Leute an der Klosterpforte und baten um Hilfe. Kneipp konnte gar nicht anders, als sie zu behandeln. Obwohl die Dorfbewohner diesem Treiben skeptisch gegenüberstanden, beeindruckte Kneipp sie dennoch mit seinen landwirtschaftlichen Kenntnissen. Er machte aus der klösterlichen Landwirtschaft einen Musterbetrieb, der immer größere Dimensionen annahm. Er legte Sümpfe trocken, drainierte feuchte Wiesen, kaufte Vieh, schaffte eine Egge an, für die damalige Zeiten ein hochtechnisches Gerät, machte Versuche mit Düngern und verschiedenem Saatgut, schaffte Bienenvölker und Kaninchen an und pflanzte Obstbäume. Im Waisenhaus stiegt die Zahl der Kinder von drei auf fünfzig. Sämtliche Nonnen und Kinder erfreuten sich bester Gesundheit.

Weitere Klagen und Massenandrang

Unterdessen wurden es immer mehr Kranke, die täglich an der Klosterpforte standen. Auch den Bauern fiel auf, dass viele fremde Leute ins Dorf kamen. Nun begannen die Ärzte Dr. Kling aus Wörishofen und Dr. Schmitt aus Türkheim, die Leute gegen Kneipp aufzuhetzen. 1861 reichten sie Klage gegen Kneipp ein, scheiterten aber, weil der zuständige Regierungspräsident Hörmann in Augsburg den Pfarrer Kneipp schon persönlich kennen und seine Fähigkeiten schätzen gelernt hatte.

Im Jahr 1863 übertraf der Zulauf in Wörishofen alles bisher Dagewesene. Die Bevölkerung ärgerte sich wohl über die vielen „armen Schlucker”, doch gleichzeitig kamen auch immer mehr geistliche Herren in hoher Zahl und von großem Ansehen zum Kuren. Immer mehr vornehme und wohlhabende Leute kamen und nahmen Quartier im örtlichen Gasthof. Zu dieser Zeit sorgten drei Fälle für Aufsehen: Es hieß, ein gelähmter „Jüngling aus Sontheim” könne wieder gehen. Des Weiteren sollte eine Frau aus Hartental die letzte Ölung bekommen. Der sie behandelnde Dr. Schmitt soll beim Rausgehen gesagt haben: „Noch ½ Stunde.”. Doch Pfarrer Kneipp nahm keine Ölung vor, sondern soll die Patientin behandelt und geheilt haben. Dann noch der Pfarrer aus Wald, dessen linke Seite nach einem Schlaganfall gelähmt war. Die Ärzte machten ihm keine Hoffnung mehr auf Besserung. Bis auf eine verbliebene Sprachstörung aber soll Kneipp ihn von der Lähmung befreit haben.

1866 legte Dr. Schmitt erneut Beschwerde beim Landgericht ein. Diese landete beim Amtmann Wilhelm Spengler im Bezirksamt Mindelheim, der sie an den Bezirksarzt Dr. Sauter weiterleitete. Dieses beiden, Spengler und Sauter, blieben auch die nächsten Jahre noch arge Widersacher, die immer wieder versuchten, Kneipp Steine in den Weg zu legen. Kneipp beschäftigte sich unterdessen damit, Erfahrungen zu sammeln mit kurzen Güssen, Wickeln und Wechselreizen, und seine Wasserkur immer weiter zu verfeinern ? von der Rosskur der Vorgänger Hahn, Oertel und Prießnitz hin zur individuellen Anwendung; Vom Groben zum Milden, und vom Milden zum noch Milderen. Im Juni 1866 fuhr Kneipp nach Homburg im Taunus, zur Wasserheilanstalt nach Prießnitz unter der Leitung von Dr. Pingler. Dieser riet ihm bereits zu diesem Zeitpunkt, sich hilfsweise einen Arzt hinzuzuziehen, um das Kurierverbot zu umgehen und künftige Klagen zu vermeiden.

Die ersten Gasthäuser

In der Sommerzeit war in Wörishofen inzwischen viel los. Die örtliche Gastronomie, die sicher damals noch nicht als solche zu bezeichnen war, entwickelte sich nur langsam und stellte sich nur allmählich auf den Zulauf ein. Der „Rößlewirt” erkannte die Zeichen der Zeit und erbaute nach einem Brand in seiner Brauerei nun ein „Gasthaus für bessere Leut”, der Bauer Brunner errichtete den „Gasthof zur Sonne”. Zumindest die Wirte in Wörishofen waren nun klar auf Kneipps Seite. Im Bezirksamt Mindelheim legte man die zahlreichen Beschwerden des Dr. Schmitt inzwischen zu den Akten.

Als 1871 Wilhelm von Preußen deutscher Kaiser wurde, wurde Kneipps Freund und Förderer Prof. Dr. Merkle Abgeordneter im Reichstag. Das schönste Geschenk zu Kneipps 50. Geburtstag war dann ein Schreiben Dr. Merkles, der ihm mitteilte, dass es mit der „Kurierfreiheit” voran gehe. Mittlerweile hatte aber auch eine Landflucht enormen Ausmaßes eingesetzt. Das städtische Leben schien moderner, leichter und verlockender als das Landleben (1850 = 8 dt.Großstädte, 1860 = 9 dt.Großstädte, 1870 = 14 dt.Großstädte). Überall entstand neue Industrie, ein gewaltiger Strukturwandel war im Gange. Das veranlasste Kneipp, sein erstes Buch zu schreiben, in dem er eine Lanze für die Landwirtschaft brach. Noch zwei weitere Bücher über Ackerbau und Viehzucht folgten.

Kurierfreiheit

1873 traf ein Schreiben Merkles ein, in dem dieser mitteilte, dass rückwirkend zum 01.01.1873 auch in Bayern die Kurierfreiheit gelte. Endlich Heilen ohne Gewissensbisse, Verleumdungen, Anfeindungen, Angst und Ärger ? mag Kneipp sich wohl gedacht haben. Doch nun liefen Ärztevereinigungen und medizinische Kreise der Hochschulen erst recht Sturm gegen das neue Gesetz; Mittelpunkt der Diskussion war wieder der Pfarrer aus Wörishofen. Die Mediziner ganz Süddeutschlands zeigten mit dem Finger auf ihn.

Aber je mehr geredet wurde, desto mehr Menschen zog es nach Wörishofen. Mittlerweile kamen nicht nur Kranke, sondern auch Neugierige, die einfach mal sehen wollten, ob denn all diese Geschichten von den Barfüßigen in Wörishofen stimmten. In den Zeitungen las man Schlagzeilen wie: „Feine Damen laufen barfuß in Wörishofen und zeigen vor aller Öffentlichkeit ihre nackten Beine.” ? Für die damalige Zeit ein Skandal.

Professor Merkle, inzwischen erkrankt und nicht mehr der Jüngste, sprach immer wieder davon, dass Kneipp einen Arzt brauche, um die Wasserkur „fachwissenschaftlich” abzusichern. Doch Kneipp war nach all seinen Erfahrungen auf Ärzte nicht gut zu sprechen. Am 10.11.1881 starb Dr. Merkle, der Mann, der eine der wichtigsten Rollen im Leben des Sebastian Kneipp gespielt hatte. Ohne ihn wäre der Traum vom „Schtudiere” wohl nicht wahr geworden.

Der erste Arzt

Im Jahr 1883 kam Dr. Bernhuber, ein junger Arzt aus Türkheim, zu Besuch. Er sprach mit Kneipp, fand alles ganz vernünftig, hatte dann aber doch wieder seine Zweifel und schließlich Zweifel an den Zweifeln. 1884 kam er wieder, dieses Mal mit der Bitte, hospitieren zu dürfen. Kneipp bot ihm spontan die Zusammenarbeit an und Bernhuber nahm an. Sie bestritten von nun an die tägliche Sprechstunde gemeinsam, und Bernhuber wurde zum begeisterten Anhänger und Verfechter der Wasserkur. Der Erzabt Maurus Wolter von der Benediktiner-Abtei Beuron seinerseits sorgte damals dafür, dass Kneipp seine Erfahrungen schriftlich festhielt. Weil dieser aber selbst nicht schreiben wollte, schickte Wolter einen Sekretär zum Diktat. Sechs Wochen lang, täglich in der Zeit von 6.30 bis 8.00 Uhr, diktierte Kneipp „Meine Wasserkur”, ohne ahnen zu können, dass dieses Buch noch zum Weltbestseller seines Jahrhunderts werden und er Millionen daran verdienen würde. Die erste Auflage erschien 1886 im Verlag Josef Kösel Kempten mit 600 Exemplaren.

Das „Unternehmen”

Mittlerweile fuhr die Postkutsche vom Bahnhof Türkheim nach Wörishofen fünf mal täglich, bis aufs Dach vollgestopft mit Reisenden. Zusätzlich fuhren sechs Lohnkutschen, und schließlich waren da noch die vielen Mittellosen, die zu Fuß kamen. Ob reich oder arm, ob Fürst oder Stallknecht ? Kneipp duzte sie alle, nahm kein Blatt vor den Mund und sagte jedem schonungslos die Wahrheit: bei Damen wetterte er gegen das zu enge Korsett, bei den Herren gegen Saufen und Völlerei. Oft in ruppigem Ton, immer in schwäbischer Mundart. Immer wieder erhoben sich Stimmen aus der Ärzteschaft gegen den „Kurpfuscher von Wörishofen”, auch Dr. Sauter ließ keine Gelegenheit aus, die Stimmung gegen Kneipp zu schüren. Dr. Bernhuber als Gefolgsmann wurde beschimpft und angefeindet, aber gleichzeitig bauten der Bäcker und der Metzger aus Türkheim nun in Wörishofen erste Verkaufsbuden für die Wartenden auf. Apotheker Boneberger aus Mindelheim schloss seinen Laden, warf alle Medikamente in die Abfallgrube und erklärte: Er sei zwar nicht verrückt, aber Pfarrer Kneipp habe recht. Immer mehr Zeitgenossen wurden nun zu Anhängern und Unterstützern der Wasserkur, gehörten zum Kreis der „Getreuen”: Bader Kustermann („moin erschter Badwart”), Kaplan Greck, „der Seelenbeistand”, die gesamte Familie Kreuzer (die Betreiber der ersten Kurhäuser), Ludwig Geromiller, „der Techniker” (Erfinder und Erbauer zahlreicher Kneippanlagen), Familie Waibel, die Bauern Scharpf, Rauch, Breier, Sproll, Singer und Zapf, und vor allem die „guten Geister” aus dem Dominikanerinnen-Kloster, Schwester Benedikta und Schwester Sebastiana, sowie Pfarrer Aloys Stückle als „Sekretär”, der Kneipps Post beantwortete. Ein richtiges Unternehmen war das inzwischen geworden. Weil es nicht anders ging, gab die bayerische Postverwaltung dann dem Nest Wörishofen eine eigene Postagentur.

Auf dem Weg zum Kurort

Außer Dr. Bernhuber nahmen mittlerweile auch Apotheker Boneberger und Dr. Stützle an den Sprechstunden teil. Letzterer war ein junger, unternehmungslustiger Arzt mit Geld, den der Apotheker mitgebracht hatte, weil sie gemeinsam ein Kneipp-Institut errichten wollten. Beim inzwischen neu errichteten Badehaus war nun schon ein ganzer Markt entstanden, es stand Verkaufsstand an Verkaufsstand: Gießkannen, Bücher, Sandalen, Heilkräuter und Souvenirs wurden angeboten. Sogar ein Fotograf hatte Einzug gehalten und ein Atelier eröffnet: Wörishofen auf dem Weg zum Kurort.

1888 kam Dr. Kleinschrod aus dem Elsass, um in Schlingen nahe bei Wörishofen eine Praxis zu eröffnen. Zunächst ärgerte er sich über die Konkurrenz des heilkundigen Pfarrers, den er als Arzt natürlich für einen „Kurpfuscher” hielt. Am 17.06.1888 besuchte er die Sprechstunde Kneipps und war entsetzt über dessen volkstümliche und unbekümmerte Art, mit den Patienten und deren Leiden umzugehen. Aber er war auch fasziniert und interessiert. Und er sollte nicht der einzige bleiben. Nachdem inzwischen die 7.Auflage der „Wasserkur” auf dem Markt war, trafen immer mehr interessierte Mediziner in Wörishofen ein. Sie hospitierten in den Sprechstunden ? Kneipp hatte nichts zu verheimlichen. Einige hatten die Absicht, in ihren Heimatstädten eigene Kneipp-Institute aufzubauen.

Als im August 1889 insgesamt 4.000 Heilsuchende in Wörishofen versammelt waren, war dies der bisherige Rekord. Das kleine Dorf platzte aus allen Nähten. Die Betten in den Gasthäusern waren komplett belegt. Endlich erkannten auch einige der Bauern ihre Chance und begannen, Kammern zu vermieten - was in den umliegenden Dörfern übrigens längst die Regel war. Alle profitierten und machten gute Geschäfte: Türkheim, Schlingen, Gammenried, Großried, Dorschhausen und Irsingen waren überfüllt; Kirchdorf, Mindelau, Lauchdorf und Baisweil hatten Gäste und selbst die Gasthäuser in Mindelheim und Buchloe bekamen noch was vom Kuchen ab. Auf Heuböden und in Ställen entstanden Massenquartiere für die Armen. Kneipp selbst hatte bei all dem Trubel noch Zeit, ein zweites Buch zu schreiben: „So sollt ihr leben!”

Das „gespaltene” Dorf

Die allgemeine Entwicklung in Wörishofen musste natürlich früher oder später auch die Politik beschäftigen. Bauerndorf oder Badeort ? das war die große Frage auf einer Gemeinderatssitzung. Der Apotheker Boneberger hatte mittlerweile in Mayenbach ein modernes Kneippbad eröffnet, Dr. Stützle eines in Biberach, Johann Colling eines in Passau, Dr. Wolf wollte das Gesundheitsbad in Traunstein in ein Kneipp-Institut umwandeln, ähnliche Bestrebungen gab es in Ulm, und die Stadt Rosenheim bekundete ihr Interesse an einer großen Kneipp-Heilanstalt ? nur das kleine Wörishofen war noch gespalten. Bürgermeister Birk sprach sich strikt gegen einen Kurbetrieb aus. Er setzte sich zunächst durch: Keine Spazierwege und Grünlagen, keine Kanalisation, keine Straßenbeleuchtung.

Im Herbst des Jahres 1889 traf dann erstmals eine königliche Hoheit in Wörishofen ein. Prinz Rupprecht von Bayern, der als Chef des 10. Regiments nahe Augsburg im Manöver war, ließ sich vom Pfarrer Kneipp Güsse verabreichen. Es folgte immer mehr „blaues Blut”, Fürsten, Prinzen und Prinzessinen, auch Bischöfe kamen aus ganz Europa angereist, um in Wörishofen in ärmlichen Unterkünften Quartier zu nehmen, wo sie einfachste Nahrung vorgesetzt bekamen.

Dass das nicht so weiter gehen konnte, erkannte Josef Urban, Hotelier aus Augsburg, der das erste große Hotel des Örtchens errichtete. Die Familie Kreuzer eröffnete das erste Privatbad in Wörishofen. Kneipp ließ, weil es notwendig wurde, ein Frauenbadehaus bauen, und Bürgermeister Birk gefiel das alles überhaupt nicht.

Im Oktober 1889 kam es bei der Gemeinderatssitzung zu heftigen Auseinandersetzungen. Nur mit Mühe konnte sich Bürgermeister Birk im Amt halten. Die „Gegenfraktion” gründete unter Vorsitz von Moritz Rausch den „Verschönerungsverein Wörishofen”. Der machte sich daran, Spenden zu sammeln für Straßenlaternen und Ruhebänke.

Kein Zurück mehr

Die 13. Auflage von „Meine Wasserkur” erschien 1890. Kneipp war durch den Verkauf der Bücher inzwischen ein reicher Mann geworden ? er wusste es nur noch nicht. Denn über Geld hatte er nie nachgedacht, nie danach gestrebt, welches zu besitzen, für sich persönlich brauchte er auch kaum welches. Seine Zigarren waren sein einziger Luxus, ansonsten trug er sogar jahrzehntelang die gleiche Soutane. Er war bescheiden aufgewachsen, und blieb es bis zum Schluss.

Unterdessen errichtete Familie Kreuzer schon ein zweites, noch größeres Badehaus, und auch Ludwig Geromiller erbaute eine Badeanstalt. Außerdem erfand Geromiller die erste Gießvorrichtung mit Schlauch. Damit es nicht wieder zu einem Chaos kam wie im Sommer des Vorjahres, setzten die fortschrittlichen Köpfe in Wörishofen durch, dass eine Gemeindekanzlei errichtet wurde. Gegen eine Gebühr von 50 Pfennigen konnte hier jeder, der zur Visite wollte, eine Kurkarte kaufen: Damit war die erste Kurtaxe in Wörishofen eingeführt, was praktisch einer Legitimation des Kurbetriebes gleichkam. Nun gab es kein Zurück mehr. Die in der Gemeindekanzlei geführte Fremdenliste glich gleich seitenweise dem „Gothaer Adelskalender” und las sich wie das Who-is-Who der internationalen Gesellschaft. Vera, die sprachbegabte Tochter der Familie Waibel, fungierte als Dolmetscherin für die Gäste aus aller Herren Länder. Allmählich stiegen nun auch die Grundstückspreise in Wörishofen, da immer mehr auswärtige Geschäftsleute kamen, die in das rasant wachsende Örtchen investieren wollten.

Der erste Kneipp-Verein

Im Sommer des Jahres 1890 waren 6.000 Gäste in Wörishofen. Und Kneipp fand einen neuen Freund: Er nahm einen herrenlosen weißen Spitz in seine Obhut, der fortan wie ein Leibwächter nicht mehr von seiner Seite weichen wollte. Kneipp hielt nun täglich öffentliche Gesundheitsvorträge, in denen er gegen die moderne krankmachende Lebensweise wetterte und donnerte. Die Menschen hingen fasziniert an seinen Lippen und lauschten andächtig seinen Worten. Einige Adlige taten sich nun zusammen. Sie sammelten Spenden für die Errichtung einer überdachten Wandelhalle, damit die Kurgäste auch bei schlechtem Wetter an der frischen Luft sein konnten, und der Herr Pfarrer hier seine Vorträge halten konnte. Inzwischen ging es in Wörishofen auch ums Sehen und Gesehenwerden. In nur acht Tagen hatten sie die erforderliche Summe beisammen.

Ein wichtiges Datum war sicherlich auch der 14.12.1890: Der Verleger Ludwig Auer aus Donauwörth war der Meinung, eine breite Unterstützung der Kneipp?schen Lehre sei erforderlich und gründete den ersten Kneipp-Verein. Kneipp selbst war Ehrenpräsident. Schon einen Monat später brachte Auer die erste Ausgabe der heute noch monatlich erscheinenden Kneippblätter (heute: Kneipp-Journal, Hrsg. Kneipp-Bund e.V., Bad Wörishofen) heraus.

Zweifel und Skepsis

Ebenfalls im Dezember 1890 sah Bürgermeister Birk wohl ein, dass er mit seiner ablehnenden Haltung zum Kurbetrieb auf verlorenem Posten stand, und legte sein Amt nieder. Nachfolger Augustin Huber war ein Befürworter Kneipps, so dass nun auch mit Unterstützung des Gemeinderates der Kurbetrieb organisatorisch perfektioniert wurde. Bürgersteige und sogar eine Wasserleitung wurden angelegt. Kneipp bestand vehement auf der Einrichtung einer karitativen Abteilung und legte Wert darauf, dass mittellose Kranke und Waisenkinder weiterhin kostenlos behandelt wurden.

Als Kneipp 1891 zum ersten Mal um ein Autogramm gebeten wurde, war ihm das unangenehm und peinlich. Ihm kamen Zweifel, auch wegen des Rücktritts des Bürgermeisters ? das hatte er nicht gewollt. Verdächtig erschien es ihm ? der ja der Schulmedizin gegenüber bis zuletzt skeptisch geblieben war ? dass immer mehr Ärzte nach Wörishofen kamen. Was würden sie aus seiner Kur machen? Ging es ihnen nicht doch nur um den Profit? Er sorgte sich um die Reinerhaltung seiner Lehre. Manchmal war ihm auch einfach alles zu viel. „?s ischt a Lascht” pflegte er dann zu sagen. Doch zu stoppen war die Entwicklung nicht mehr. In Wörishofen hatte ein Bauboom eingesetzt. Es entstanden viele neue Villen im Jugendstil, Privatpensionen, Gästehäuser und Hotels.

Der Bestseller-Autor

Im Jahr 1892 war „Meine Wasserkur” zum Bucherfolg des Jahrhunderts geworden. Kneipp begriff, dass er ein reicher Mann war. Doch was brauchte er schon? In den folgenden Jahren investierte er sein Vermögen in verschiedene Projekte. Er ließ ein Priesterkurhaus errichten, damit auch das Bischöfliche Ordinariat keine Bedenken mehr haben musste, dass Geistliche mit „Normalsterblichen” gemeinsam behandelt wurden, und zahlte die Bausumme in Höhe von 103.000 Mark in bar. An seinem Geburtstag am 17.05.92 überraschte er den Ort mit der Grundsteinlegung für ein Kinderasyl für behinderte Kinder. Er ließ ein Kurhaus errichten und ein Krankenhaus, stiftete eine Glocke für die Kirche, einen Kreuzgang für das Kloster und verschenkte Geld aufgrund von Bittbriefen. Insgesamt gab er rund 900.000 Mark aus, nur für sich selbst brauchte er fast nichts. Erst als er Ende 1892 zur Audienz bei Prinzregent Luitpold von Bayern geladen wurde, sah er ein, dass er doch mal eine neue Soutane gebrauchen könne.

Im Sommer 1892 startete Kneipp ? zunächst widerwillig ? zu seiner ersten Vortragsreise. Er fand großen Gefallen an der Eisenbahn, so dass seine anfängliche Ablehnung bald wie weggeblasen war. In den nächsten Jahren bereiste er ? in Begleitung von Pfarrer Aloys Stückle ? fast ganz Europa und faszinierte überall die Massen mit seinen Vorträgen. Eine seiner Reisen führte ihn auch nach Ungarn, wo er Erzherzog Joseph von Österreich und Ungarn behandelte. Dieser war es dann auch, der sich ein Jahr später beim Papst in Rom für Kneipp stark machte.

Die Barmherzigen Brüder

Im August 1892 traf Dr. Alfred Baumgarten in Wörishofen ein - ein Mann, für den Kneipp sofort Sympathie empfand. Da Kneipp inzwischen den ständigen Wechsel der Ärzte leid war, die eine Weile blieben, um dann an anderen Orten das Erlernte anzuwenden, stellte er mit Zustimmung des Kneippvereins Dr. Baumgarten als bleibenden Badearzt mit fixem Gehalt ein und mit der Verpflichtung, arme Patienten kostenlos zu behandeln.

Zwei Monate später trafen Prior Bonifaz Reile und die ersten Pater der Barmherzigen Brüder aus Neuburg ein. Weitere folgten, und mit Unterstützung des Ordens wurde das Kurhaus ausgebaut und wesentlich vergrößert. Die Barmherzigen Brüder spielten nun eine immer größere Rolle bei der Unterstützung des Pfarrers. Das Kurhaus unter der Leitung von Prior Reile entwickelte sich mehr und mehr zum Mittelpunkt des Kurbetriebes. Kneipp hielt seine Sprechstunden nun dort. Immer mehr Barmherzige Brüder waren zur Stelle, und so kam es endlich zur völligen Entlastung der Dominikanerinnen, womit dann auch der letzte Einwand des Bischöflichen Ordinariats beseitigt war. Im Jahr 1893 zählte Wörishofen insgesamt 33.130 Kurgäste sowie über 100.000 „sonstige Zuläufer und Passanten”.

Audienz beim Papst

Ende dieses Jahres teilte Erzherzog Joseph schriftlich mit, dass er sich aus Dankbarkeit an den Papst gewandt habe, damit dieser „ein sichtbares Zeichen seiner Gnade” sende. Kneipp wurde von Papst Leo XIII. zum „Monsignore” ernannt, heute die ehrende Bischofs-Anrede. Im darauffolgenden Jahr reiste Kneipp nach Rom, angeblich um der Priesterweihe von Baumgartens Bruder beizuwohnen. Er wohnte bei den Kreuzschwestern in der Via San Basilio, wo sich innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Kranke einfanden. Zu seiner Überraschung erhielt Kneipp eine Audienz beim Papst. Bei der einen Audienz blieb es jedoch nicht: Er besuchte den Papst insgesamt viermal. Dieser ließ sich von Kneipp behandeln und schenkte ihm zum Abschied eine goldene Medaille.

Hetze gegen Kneipp

Ebenfalls in diesem Jahr ? 1894 ? wurde der „Internationale Verband der Kneippärzte” unter Vorsitz von Dr. Alfred Baumgarten gegründet. Ende des Jahres erschien in Zusammenarbeit mit Dr. Baumgarten „Mein Testament”, von dem schon ein Jahr später die vierte Auflage herausgegeben wurde. Trotz aller Erfolge hörten die Anfeindungen nie auf. In den vergangenen Jahren war es zu mehreren Brandstiftungen in Wörishofen gekommen, auf Kurhaus, die Redaktion der Kneippblätter usw. Die Presse, allen voran die „Augsburger Abendzeitung” und die „Leipziger Volkszeitung”, hetzten gegen Kneipp, warfen ihm Profitgier vor und sogar die „Verwahrlosung der zur Pflege anvertrauten Kinder”. Kneipp selbst kommentierte auf seine eigene Weise: „Allen, die in boshafter Weise gegen mich schreiben, möchte ich sagen: Plagt euch doch nicht wegen mir. Ich lese es ja doch nicht!” Derartige Anfeindungen konnten den Lauf der Dinge aber nicht aufhalten. 1896 gab es in Wörishofen bereits einen Gesangsverein, einen Darlehenskassenverein, elektrische Straßenbeleuchtung, eine Bahnhofsüberdachung, Springbrunnen, Hotels, betonierte Gehsteige, Restaurants, Kegelbahnen, Promenaden, Ruhebänke, einen Bootsverleih und die elektrische Bahn von Türkheim nach Wörishofen. Doch im Sommer dieses Jahres war es auch, dass Kneipp erste Anzeichen von Schwäche zeigte.

Die Kräfte lassen nach

Er erholte sich und ging bereits im Herbst 1896 wieder auf Vortragsreise. Anfang 1897 jedoch war er schon so angegriffen, dass er die Güsse nicht mehr selbst vornehmen konnte. Sein Zustand wurde immer schlechter, doch er kämpfte dagegen an, raffte sich immer wieder auf zu Vorträgen, Messen und Sprechstunden. Aber die Kraft wurde immer weniger. Dr. Baumgarten stellte einen schnell wachsenden Tumor im Unterleib fest, der auf die Gefäße drückte. Der Arzte versuchte, Kneipp die Ernsthaftigkeit seines Zustandes klar zu machen, aber Kneipp wollte nichts davon wissen. Während er krank im Bett lag, stritten sich bereits die „Laienbewegung” und die „Ärztefraktion” um sein Erbe. Die einen hielten Prior Bonifaz Reile für den legitimen Nachfolger, die anderen Dr. Alfred Baumgarten.

Kneipp selbst verbrachte nun die meiste Zeit in seinem Zimmer und behandelte sich selbst mit Wasseranwendungen. Dr. Baumgarten und Dr. Schmidt wollten ihn zu einer Operation überreden, doch Kneipp lehnte ab und verlangte stattdessen, „seine Ärzte” zu sehen. Einer nach dem anderen trafen sie in Wörishofen ein: Dr. Stützle aus Biberach, Dr. Bernhuber aus Rosenheim, Dr. Bergmann aus Kleve, Dr. Kleinschrod aus Jouy aux Arches, Dr. Tacke aus Genf. Der Chirurg Bernhuber machte dem Kranken unmissverständlich klar, dass seine Krankheit mit äußerlichen Einwirkungen nicht mehr zu heilen sei. Einzig eine Operation könne ihn noch retten. Kneipp blieb stur: „I will aber net!”

Am 19.05.1897 ließ Kneipp durch einen Boten Aloys Stückle zu sich rufen und die Abschrift seines Testaments verlesen. Stückle machte er zu seinem „Universalerben”, das Mobiliar sollte das Dominikanerinnenkloster erhalten, die Bibliothek und alle Autorenrechte und sonstige Einkünfte vermachte er den Barmherzigen Brüdern, sein Barvermögen sollten seine Neffen und Nichten erhalten.

Ein langsames Sterben

Der Einweihung des von ihm gestifteten Kreuzganges am Pfingstmontag 1897 konnte er nur noch vom Fenster aus zusehen. Zu schwach war er inzwischen. Die anwesende Menschenmenge jubelte ihm zu. Kneipp schwankte zwischen Hoffen auf Genesung und der Gewissheit des bevorstehenden Todes. Am 10. Juni sagte er zu Schwester Benedikta: „Gute Schweschter, was han i Euch viel kranke Leut aufbucklet all die Jahr, und etz habt Ihr mi no selber aufm Buckl! Aber net mehr lang!” Der Krebs war nun so weit fortgeschritten, dass, selbst wenn Kneipp zugestimmt hätte, eine Operation zu spät gekommen wäre. Am 15. Juni schenkte er Dr. Baumgarten seine silberne Schnupftabakdose „I schnupf do nimmer!” Trotz der großen Schwäche, die die Krankheit in seinem Körper verursacht hatte, schien er aber immer noch voller Widerstandskraft. Sebastian Kneipp war keine leichte Beute für den Tod. Aber Kneipp wusste auch, dass gegen den Tod kein Kräutlein gewachsen ist. Überliefert ist sein Ausspruch: „Gschtorbe mueß sei, und es ischt recht guet, daß ma die Sach lieged abmacha ka!”

Als am 17. Juni 1897 morgens gegen fünf die Totenglocke läutete, schreckte das ganze Dorf aus dem Schlaf. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht: „Vater Kneipp ist tot!”

Das Vermächtnis

Unter dem Dachverband des Kneippbundes existieren heute in Deutschland über 600 Kneippvereine mit ca. 165.000 Mitgliedern. Die Bücher von Sebastian Kneipp erreichten Millionenauflagen und werden auch heute noch verlegt. Im Jahre 1920 erhielt Wörishofen das Prädikat „Bad” verliehen. Neben Bad Wörishofen gibt es in Deutschland noch zahlreiche weitere Kneippkurorte. Die Kneipp-Medizin und Kneippkur werden heute auch von der Schulmedizin anerkannt und als begleitende Therapie eingesetzt.

Quellen und Literatur

  • Eugen Ortner: Sebastian Kneipp ? Seine Lebensgeschichte Ehrenwirth Verlag, 12. Auflage 1994, ISBN 3-431-02659-1

Siehe auch

  • Humoralpathologie, KneippÄRZTEbund, Kneippkur

Weblinks


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